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Karate der Extraklasse:Einblicke von einem Kyokushin-Meister – Joachim Dieter Eisheuer – Teil 2

Autorenbild: BenBen

Aktualisiert: 14. Aug. 2024

Du kennst Teil 1 des Interviews noch nicht? Dann klicke hier.


Wir hatten vorhin über die Disziplin gesprochen und dass Disziplin bei Kampfsport eine Rolle spielt ist jedem klar. Aber spielt Disziplin noch eine andere Rolle beim Kyokushin-Karate?


Ich will es mit einem Begriff kurz erklären, der eigentlich aus der linken ideologischen Ecke kommt: Einsicht in Notwendigkeit. Die Disziplin soll dem Trainer das Training ermöglichen, soll ermöglichen, dass die, die am Training teilnehmen, das Bestmögliche aus dem Training herausholen. Das ist eigentlich die einzige Grundlage, warum wir Disziplin fordern. Ich will keine Soldaten haben, also keine militärische Disziplin. Die Leute sind hier, weil sie etwas lernen wollen. Und du hast gesehen, es gibt Trainingssegmente, wo die Schüler relativ frei miteinander umgehen, und es gibt Trainingsteile, wo sie auf Kommando reagieren oder ihre Techniken vorführen. Beides muss ich ergänzen.


Dass man den Schülern ein, zwei Werkzeuge in die Hand gibt, also Techniken, und sagt: „So, ihr habt jetzt die und die Technik, die macht sehr gut. Und jetzt nehmt euch einen Partner und versucht mit den Techniken etwas zu machen.“


Es ist nicht ganz unbestritten, diese Methode, weil es gibt immer noch die „Traditionalisten“, die sagen, es kann nur auf Kommando funktionieren. Aber meiner Meinung nach ist das nicht richtig. Es sollte auch dem Schüler die Möglichkeit gegeben werden, selbst zu probieren, selbst zu experimentieren. Und dann sieht er Erfolg. Erfolg setzt sich dann im Kopf fest. Das ist ja dann die positive Belohnung, die er sich selber gibt, nicht der Pädagoge, der sagt: „Ja, das hast du gut gemacht.“ Das ist ja mittlerweile auch rückläufig. Er soll selber seinen Weg finden. Und wenn hier 20 Schüler sind, dann haben wir 25 verschiedene Charaktere.


Jeder ist anders, jeder denkt anders, du hast eine ganz andere Struktur als ich. Wäre auch verrückt, wenn wir gleich wären. Jeder hat seine eigene Art zu fühlen, zu denken und zu reagieren. Und auf dieser Basis muss er arbeiten. Wenn wir Militärs haben, haben wir nur eine Linie. Ich war Elitesoldat, ich weiß, warum ich gegen Militär bin. Im Grunde ist es ja eigentlich eher die Verschmelzung von komplett allen zu einem Kollektiv.


Nein, das liegt mir nicht, die Leute sollen Individuen bleiben.


Das durfte ich tatsächlich in der Aufwärmrunde beim ersten Training gleich erfahren. Also kardiomäßig habe ich gemerkt, ist hier schon noch einiges definitiv auch sehr hart, gerade in der ersten halben Stunde beim ein oder anderen Training. Welche Rolle spielt die körperliche Fitness im Vergleich zu anderen Karaterichtungen beim Kyokushin?


Selbstbewusstsein. Wenn er sich auf seine körperliche Leistung verlassen kann und sich seiner körperlichen Leistungsfähigkeit sicher ist, tritt er unbewusst viel sicherer auf als einer, der sich nicht sicher ist. Und es lässt sich sprachlich, du weißt, ich bin Fremdsprachler, was Deutsch angeht, sehr gut definieren: Er ist sich seiner selbst nicht sicher. Ja, und man mag den Schlägern, den sogenannten Assozialen – also, ich mag den Begriff assozial nicht, weil die meisten Assozialen von der Gesellschaft assoziiert worden sind, das heißt an den Rand gedrängt worden, aber das ist tatsächlich ein anderes Thema. Die haben ein unwahrscheinliches Gespür, die spüren, ob du ein Gegner sein könntest oder nicht, und die suchen keinen Gegner, die suchen ein Opfer. Und wenn einer stark ist, das ist ganz egal, das kann Bodybuilder sein, das kann Fußballer sein, das kann Turner sein, der tritt ganz anders auf als einer, der keine zehn Liegestütze schafft.


Das erste, was ich mache, also zu Hause, wenn ich aus dem Bett gehe – gut, ich gehe pinkeln,– dann mache ich meine 50 Liegestütze. Dann mache ich meine Sit-ups, plus 50, also mein Rekord-Sit-ups ist bei 1200, und mache Bizepstraining, Trizepstraining, den Deltoid. Dann, wenn ich ins Dojo komme, mache ich meine Klimmzüge. Das ist eigentlich mein persönliches Warm-up-Training, und mit knapp 80 Jahren ist das okay. Ich habe kein Auto, ich bin Radfahrer oder Fußgänger, wenn ich durch die Stadt gehe, wie viele Leute auch ohne Handy mit gesenktem Kopf durch die Straßen ziehen. Ja, dann sage ich mir, was ist mit deren Psyche los? Was ist dort kaputt? Man kann doch nach vorne schauen, man muss doch nicht so gehen. Ja, und das ist auch bei den Mädels, also bei uns gibt’s keine Damen und Herren, bei uns gibt’s Mädels und Jungs. Von zehn Mädels am Anfang schauen neun zu Boden, von zehn Jungs einer. Und das ist auch eine Sache, wenn jemand kräftig ist, durchtrainiert, er strahlt eine Sicherheit aus, und diese Ausstrahlung ist wichtig.


Ich weiß nicht, ob ich dir schon erzählt habe, ich gehe mit meiner Frau in München am Flughafen spazieren. Einer von der Flughafenpolizei, der später dann bei mir mal trainiert hat, sagt, er ist von einem Kollegen auf mich aufmerksam gemacht worden, der gesagt hat, ich könnte bei meinen Auftritten einigermaßen Ärger machen. Ja, also ich habe das als Kompliment aufgefasst, wenn ich für diese Leute eine Bedrohung darstelle. Und ich bin in Anführungsstrichen eigentlich der friedlichste Mensch, solange mir keiner auf die Füße tritt.


Aber ich glaube, dieses friedlich sein wird leichter, je wehrhafter man auch ist, weil dann die Angst rausgeht.


Also, ich glaube, dass sehr viele böse Taten aus Charakterschwäche und auch Angst passieren, und das fällt ja dann zu einem guten Teil auch weg, wenn man mit sich selbst im Reinen ist.

In dem Augenblick, wo ich kämpfe, lebe ich im Jetzt. Es gibt kein Danach und es gibt kein Vorher. Das ist jetzt. Und es hört sich ganz, ganz schlimm an, aber wenn ich kämpfe, sehe ich eigentlich nur Ziele, also keinen Gegner, sondern Ziele.



Ja, den Satz hatte ich tatsächlich von dir, ich glaube, im dritten Training war es, gehört. Den habe ich mir sogar dann, bevor ich noch heim gefahren bin, aufgeschrieben, weil ich den tatsächlich sehr spannend fand.


Ja, und in dem Augenblick, wo ich Menschen sehe, sehe ich mich auch als Mensch, und ein Mensch sollte doch den anderen als Menschen respektieren. Aber ein Gegner ist ein Gegner. Das ist genau der Punkt, der eigentlich Kyokushin Karate ausmacht: Die Entschlossenheit zu siegen. Ich will jetzt hier kein Spiel machen. Ich schlage voll zu. Mein Ziel ist, dass der andere runtergeht. Da gehört eine gewisse Entschlossenheit dazu, weil der andere hat den gleichen Entschluss gefasst, er will mich runterhauen.


Das ist also was ganz anderes. Die Lockerheit des WKF-Karate ist draußen. Also, ich habe WKF-Karate auch gekämpft und auch nicht ganz schlecht, aber es war nicht meine Melodie.

 









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