In vielen Gesprächen hörte ich von einem Karate-Großmeister, dessen Training als das härteste im weiten Umkreis bekannt ist – einem Kyokushin-Meister. Aber der Titel wird dem nicht gerecht, wenn man auf der Seite seines Dojos diesen Abschnitt sieht (den ich stark gekürzt habe)
Mit einem zugegeben mulmigen Gefühl, aber auch großer Neugier, machte ich mich auf den Weg zu seinem Dojo in Landshut. Nach ein paar sehr intensiven Trainingseinheiten fasste ich schließlich den Mut, diesen beeindruckenden Mann zu fragen, ob ich ihn für meinen YouTube-Kanal interviewen darf – und er sagte ja. Dieses Interview möchte ich nun auch in Schriftform mit euch teilen.
Wie bist du eigentlich zum Kyokushin-Karate gekommen und was hat dich dazu inspiriert ein Meister auf diesem Gebiet zu werden?
Meine Kindheit war nicht gerade glücklich, und mein Weg zum Karate war tatsächlich relativ unkompliziert. Mit 13 Jahren zog ich in ein Lehrlingsheim in Landshut. Ein Heimbewohner überredete mich, zum Boxen mitzukommen. Ich ging mit, und es machte mir großen Spaß, sodass ich dabei blieb. Später, während meiner „Prügelkarriere“, geriet ich auch mit US-Soldaten aneinander, die sowohl mit Händen als auch mit Füßen zuschlugen. Irgendwann wurde mir klar, dass es sich um Karate handelte, und ich wusste, dass ich das lernen musste.
In den 60er Jahren gründete ein Großverein in Landshut eine Shotokan-Karategruppe, und ich wurde Mitglied. Ich trainierte dort lange Zeit, bis ich hörte, dass in Freising Vollkontakt-Karate angeboten wurde, bei dem richtig zugeschlagen wird. Das gefiel mir viel besser, weil ich vom Boxen kam. Also trainierte ich einmal die Woche in Freising und sechs Tage zu Hause in meiner Wohnung.
Mit der Zeit stieg ich in der Hierarchie auf. Ich glaube, es war 1967 oder 1968, als ich meine erste Prüfung zum Gelbgurt bei Sensei Arth Hisatake ablegte, der sich 1972 das Leben nahm. Diese tragische Geschichte hielt mich nicht davon ab, weiterzumachen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin bis heute dabei geblieben.
Was Spaß macht, bringt einen voran, ohne dass man sich anstrengen muss.
Würdest du sagen, dass Spaß und Kontinuität der Schlüssel zu deinen Erfolgen waren?
Sowohl als auch. Hätte es mir keinen Spaß gemacht, hätte ich keine Kontinuität gehabt. Das eine bedingt das andere. In meiner Familie mit ursprünglich acht Brüdern – ich war der Älteste – wenn ich darüber nachdenke, bin ich immer noch der Älteste.
Mir wurde gesagt, ich sollte stolz sein, auf das, was ich erreicht habe. Ich frage dann: „Warum soll ich stolz sein? Ich habe nur das gemacht, was mir Spaß macht."
Und das bringt Erfolg. Wenn etwas keinen Spaß macht und man sich dazu zwingen muss, ist es schwierig, Erfolg zu haben.
Trotzdem gab es sicher einige Herausforderungen und Höhepunkte in deiner Karriere. Was waren einige davon?
Eine Herausforderung war mein erstes Vollkontakt-Training in Freising. Am ersten Abend wurde ich zweimal K.O. geschlagen. Alle dachten, ich käme nicht wieder – aber sie alle täuschten sich. Ich wusste,: Es kann doch nicht sein, dass mich jemand schlägt. Also wollte ich genauso gut werden.
Mein Ziel war es immer, so gut wie mein Trainer zu werden.
Das ist natürlich ein gesunder Ansporn. Ich glaube viele hätten bei der Sache mit den zwei K.O.s aufgegeben.
Ach, das mit dem Aufgeben liegt mir nicht so.
Was macht man im Kyokushin-Karate anders, als in anderen Stilen?
Im Kyokushin Karate ist der eigene Antrieb sehr wichtig. Man will wollen oder man soll wollen. Man muss nicht angetrieben werden, das habe ich bei meinem Training oft festgestellt. Natürlich wird der eine oder andere korrigiert, aber die Motivation muss von innen kommen. Das Schädlichste ist, wenn jemand fragt: „Wie lange dauert es, bis ich den Schwarzgurt habe?“ Ich habe sieben Jahre als Weißgurt trainiert. Der Gürtel war mir nicht wichtig, und jetzt habe ich einen relativ hohen Grad.
Die Graduierung kommt von alleine. Man sollte nicht der Graduierung hinterherlaufen, sie kommt von selbst.
Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt in der Einstellung zum Kyokushin Karate. Es ist kein Zufall, dass die meisten hochgradigen Kyokushin-Karateka aus Osteuropa oder noch weiter aus dem Osten kommen. Sie haben oft eine innere Ruhe und Zielstrebigkeit, ohne ständig bestimmte Ziele erreichen zu wollen. Sie wollen das machen, was sie tun, und die Erfolge kommen von alleine.
Der Weg ist definitiv ein anderer – für den Leser hier ein Auszug, aus dem Kyokushin-Prüfungsprogramm. (Stark gekürzt)
Wer den leichten Weg sucht, sollte lieber eine Tasse Kaffee trinken und die Zeitung lesen oder ein gutes Buch zur Hand nehmen – obwohl heutzutage selbst das für manche schon eine Überforderung ist. Und genau das ist das Problem, das ich generell im Sport sehe, nicht nur im Karate. Karate wird immer mehr nach unten angepasst, und das halte ich für den falschen Weg.
Als ich mit Karate anfing, war es eine Sache für Menschen, die hart waren. Heute kann jemand, der Karate macht, genauso gut zum Ballett gehen. Das ist meiner Meinung nach der falsche Weg. Karate ist eine Kampfkunst, und das bedeutet – meiner Meinung nach, weil es dazu verschiedene Ansichten gibt – die Kunst des Kämpfens. Und wenn man die Kunst des Kämpfens beherrschen will, muss man kämpfen. Das ergibt Sinn, so wie man auch kein Auto fahren kann, ohne jemals im Auto gesessen zu haben.
Im Training vermittle ich den Leuten den Umgang mit dem Werkzeug, aber das Werkzeug müssen sie erst einmal beherrschen. Bei uns wird geschlagen, mit allen Risiken. Bei uns wird geworfen, mit allen Risiken. Wenn man zu Boden geht, wird am Boden weitergekämpft. Es besteht also immer die Möglichkeit, dass einem wehgetan wird, nicht dass man sich selbst wehtut – nein, dass einem wehgetan wird. Das Ziel des Schlagens ist es, jemanden zu verletzen, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Wenn ich weiß, dass der andere mich verletzen will, muss ich auf mich aufpassen. Das ist meiner Meinung nach der entscheidende Punkt im Vergleich zu anderen Stilrichtungen. Im WKF-Karate, das ein super System ist mit super schnellen Leuten, gebe ich die Verantwortung für meine Gesundheit meinem Gegner: „Du darfst mich nicht treffen.“ Punkt.
Aber im Kyokushin Karate, wie bei allen Kontaktsportarten – ob Boxen, Kickboxen oder Muay Thai – weiß ich, dass der andere mich treffen will. Also muss ich auf mich aufpassen. Das gesamte Training zielt darauf ab, zu lernen, zu beobachten und zu antizipieren, was passiert, wenn sich der andere bewegt, und wie ich darauf reagieren muss. Das ist im Grunde genommen alles relativ einfach.
Nach meinem fünften Training heute muss ich das mit der Einfachheit schon fast verneinen. Doch es gibt einen Grund, warum ich zum fünften Mal hierher gekommen bin – ich merke, dass hier dieses Gespür noch viel intensiver geschult wird, einfach dieses Reagieren auf das, was kommt. Denn Form halte ich zwar für eine wichtige Sache. Du hattest es im Training ja sehr schön gesagt: Die schöne Schrift und die Rechtschreibung allein sind nicht ausreichend.
So sehe ich das zumindest. Das ist auch ein Unterschied zu anderen Systemen im Kyokushin Karate. Man versucht immer wieder neue Formen in der Auseinandersetzung zu finden. Das sogenannte traditionelle Karate ist im weitesten Sinne selbstreferenziell. Das heißt, ich kann mich gegen jeden Angriff verteidigen, wenn der Angreifer weiß, dass er Karate-typisch angreifen sollte. Das weiß der Schläger auf der Straße oder der Angreifer nicht. Sie haben nur einen Gedanken im Kopf: Den mache ich nieder.
Und das ist auch ein Punkt, den ich von Anfängern gelernt habe. Sie kämpfen ohne Form. Man muss aufpassen, denn sie prügeln einfach rein. Das macht dann wirklich Spaß, man muss aufpassen. Mein Vorteil ist, dass ich in einem rauen Umfeld aufgewachsen bin. Man hat sich von klein auf durchprügeln müssen. Das, was mit dem neudeutschen Wort „Antizipation“ beschrieben wird, das lernt man von klein auf: Wie bewegt sich der andere? Will er jetzt zuschlagen oder tut er nur so als ob?
Und du hast gesehen, wenn sie bei uns kämpfen, machen sie das alles recht locker, aber sehr hart.
Und das ist eigentlich das, was mein Ansicht nach Sport ist. Man nimmt die Sache locker, man bewegt sich locker, man haut sich voll rein, ist aber nicht böse. Hier ist es emotionslos. Das ist gut gemeint, weil das ist etwas, worüber sich fast alle Schulen einig sind: Sobald die Emotionen ins Spiel kommen, wird es schwierig.
Es wird schwierig, wenn ich zum Beispiel sage, dass jemand in Wut gerät, dann gerät er außer Kontrolle, auch für sich selbst. Er kann sich nicht mehr kontrollieren. Und das ist meiner Ansicht nach ein sehr wichtiger Punkt beim Kampfsport. Man muss sich unter Kontrolle halten, damit man den Gegner kontrollieren kann.
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